Jüri Reinvere
Minona (Uraufführung)

Theater Regensburg

Premiere: 25. Januar 2020

Musikalische Leitung Chin-Chao Lin
Inszenierung Hendrik Müller
Bühne Marc Weeger
Kostüme Katharina Heistinger
Dramaturgie Julia Anslik
Minona Theodora Varga
Josephine Brunsvik /
Minona als junge Frau
Anna Pisareva
Gräfin von Goltz Vera Semieniuk
Baron von Stackelberg Adam Kruzel
Marie Esther Baar
Leonore Deniz Yetim
Graf von Teleki Johannes Mooser
Attila de Gerando Deniz Yilmaz
Vilma Andrea Dohnicht-Pruditsch /
Ayumi Futagawa
Gabriel Roman-Ruslan Soltys /
Thomas Lackinger

Die Idee Reinveres, das Rätsel Minona mit dem Beethoven-Kult zu verbinden, ist genial. [...] Regisseur Hendrik Müller hat diese Idee aufgegriffen und entschlossen weitergedacht. Er hat die Gestalt der alten Minona hinterlegt mit der Gestalt der alten Elly Ney. Die las bei ihren Klavierabenden gerne mal zwischendurch Beethovens Heiligenstädter Testament vor. Leider führte ihr Glauben an die Autorität Beethoven sie auch zum Glauben an den Führer. Hendrik Müller denunziert aber weder Minona noch Elly Ney, sondern zeigt deren Gefährdung, ihre Tragödie. Es ist das Rätsel der autoritären Persönlichkeit, das sich hier enthüllt. Und da es keinen Glauben gibt ohne Anfechtung, sind auch Drogen mit im Spiel. „Mir ist so wunderbar“ – das Quartett aus „Fidelio“ spielt eine wichtige Rolle in Reinveres Oper. Und zur „Fidelio“-Leonore fasst Minona Vertrauen – weder Beethoven noch Minona war das eheliche Glück vergönnt, das hier gepriesen wird. In Hendrik Müllers Inszenierung ist Leonore die Ärztin, die Minona mit den nötigen Pillen und Spritzen versorgt, damit sie ihre Pein aushält. Und das Quartett wird von einer Poker-Runde geträlltert. Auf Marc Weegers Drehbühne gleiten am Zuschauer all die surrealen Szenen vorbei, an deren Ende Minonas Verlöschen steht. So verfolgt das Publikum gebannt eine Seelenanalyse, die über das Interesse an einer angeblichen Beethoven-Tochter weit hinausgeht.
Ein Bechstein-Flügel, eine Orgel, ein Gitterverschlag, ein Andachtsraum, eine Bibliothek, ein enger Gang, eine Treppe – die Drehbühne bietet viele wandelbare Räume. Besonders witzig das Bild bei der Beethoven-Jubiläumsfeier: Um den Flügel mit Beethovenbüste versammelt all die (männlichen) Komponisten, die vom Konzertpublikum angebetet werden: Mozart (mit Kugel), Brahms (mit Bart), Humperdinck (mit Lebkuchen), Schönberg (mit Tennisschläger), Mahler (mit Alma) usw. Auf der Orgelempore probiert Händel die Geige des Walzerkönigs aus. Solche ironischen Momente hinterfragen die Kunstreligion. [...] Katharina Heistingers Kostüme sind nicht nur in dieser Szene raffiniert und prägnant.
[Bernd Feuchtner - klassikinfo.de, 26. Januar 2020]

Zu Beginn zeigt Hendrik Müller eine Filmszene von Mauricio Kagel, in der ein Bauer auf einem Acker beteuert, der einzige Nachfahre Beethovens zu sein - alle biografische Gewissheit ist da gleich mal dahin. Das ist toll. [...] Die Bühne dreht sich unermüdlich, historische Figuren - Brahms, Liszt, Wagner ... - bilden Tableaus, Video rückt den Figuren nahe, Theodora Varga vergeht in der Erkenntnis, sie, Minona, sei nur ein Schatten inmitten schöner Träume großer Männer gewesen. Wie traurig, wie rührend und leider wahr.
[Egbert Tholl - Süddeutsche Zeitung, 27. Januar 2020]

Theodora Varga in der Titelrolle gelang eine packende und beklemmende Charakterstudie. Mutig und glaubwürdig, wie sie als schrullige Alte mit Beethoven-Medaillon um den Hals und grauer Mähne durchs Bühnenbild schlurfte. Regisseur Hendrik Müller ließ zeitweise sämtliche Komponisten-Legenden von Händel bis Wagner auftreten, führte ein unterhaltsames Panoptikum vor, in dem auch Platz war für die vergitterte Zelle einer Nervenheilanstalt. Ausstatter Marc Weeger hatte dazu jede Menge Beethoven-Gipsbüsten und Weihestätten entworfen, sozusagen einen Alptraum an Hörigkeit und Bewunderung. Dazu wurden Texte der Pianistin Elly Ney eingespielt, die sich nach 1933 nicht nur den Nazis angedient hatte, sondern auch Begründerin eines irren Beethoven-Kults war.
[Peter Jungblut - Bayerischer Rundfunk, 26. Januar 2020]

Regisseur Hendrik Müller treibt mit Marc Weeger (Bühne) und Katharina Heistinger (Kostüme) das Denkangebot von Reinveres Oper weiter. Nicht nur um ausweglose Frauenschicksale geht es, die schon die Belcanto-Komponisten mir ihren vermeintlich wahnsinnigen Heldinnen zeigten, sondern auch um Wohl und Wehe der Beethoven-Pflege. Die Drehbühne bietet zwischen Bibliothek, Gitterkäfig, Devotionalienzimmer oder Gebetsraums immer neue, surreale Arrangements. Beethovens Vorbilder und von ihm Beeinflusste zwischen Mozart und Wagner treten auf.
Doch am frappierendsten ist die Gleichsetzung von Minona mit der umstrittenen Pianistin Elly Ney. Minonas Selbstsuche in der Nachfolge eines Genies verschränkt Müller mit der in brauner Zeit hofierten Künstlerin, die sich als Hohepriesterin eines Komponistenkults begriff. Hier die angebliche leibliche Tochter, dort die vorgebliche Tochter im Geiste, das gibt dem Stück einen aparten Dreh, der als hintergründiger Beitrag zum Beethoven-Jahr funktioniert. Hochrespektabel und aufreizend ist das, was den Regensburgern da glückte.
[Markus Thiel - OVB Zeitungen, 27. Januar 2020]

Dass „Minona“ keine Dokumentation ist, sondern Theater bleibt, scheint eine Widerspielung des Zuschauerraums als Hintergrundprospekt auf der Bühne zu bestätigen. Das Fiktionale wird noch durch ein Verschwimmen der Orts- und Zeitebenen auf der häufig in Rotation befindlichen Drehbühne unterstrichen. Eher surreal gruppieren sich dort im Bühnenbild Marc Weegers die einzelnen Spielstationen, und auf historische Uneindeutigkeit sind auch Katharina Heistingers zwischen den Jahrhunderten changierende Kostüme ausgerichtet. In Hendrik Müllers Regie werden dem vom Komponisten selbst verfassten Libretto weitere Assoziationen hinzugefügt: von der Beethoven kultisch verehrenden Pianistin Elly Ney ertönen nicht nur Textzitate, sondern die alternde Minona scheint in der figürlichen Darstellung geradezu mit dieser Beethoven-Hohepriesterin zu verschmelzen. [...] Die dem Spiel auf der Bühne hinzugefügten Live Video-Nahaufnahmen Andreas Erbs zeigen am Schluss des ganzen Bilderbogens in peinigendem Detail das Leidensgesicht einer alten Frau, die gelebt hat, ohne zu leben. „Rückwärts – bin ich niemand: Minona – Anonym geboren, anonym geblieben“, so lautet ihr bitteres Fazit.
[Gerhard Dietel - Mittelbayerische Zeitung, 26. Januar 2020]

Vor allem schließt Hendrik Müller Minonas Vater-Obsession mit dem fragwürdigen Beethoven-Kult Elly Neys kurz. Nicht nur Ausschnitte aus ihren verquasten Texten (von 1942) werden verlesen, die alte Minona selbst trägt Züge der Pianistin, die ihre Kunst in den Dienst der nationalsozialistischen Ideologie stellte. Bei Müller verfällt Minona dem Wahnsinn, entsprechend dominiert den drehbaren, vor dem Hintergrund eines großen Opernhaus-Panoramas postierten Bühnenaufbau (Marc Weeger) ein Käfig, in dem sie weggesperrt wird. Darüber thront eine Orgel, an der mal Minona, mal Wiedergänger Bachs und Händels (unhörbar) hantieren dürfen. Weitere Komponisten-Heroen von Haydn über Schubert und Chopin bis Liszt und Wagner versammeln sich mitunter zur Beethoven-Soirée am Flügel. Die imaginierte Gesprächspartnerin Leonore ist hier Minonas Nervenärztin, die sich per Unterschrift offenbar den Nachlass der am Ende Selbstmord begehenden Patientin sichert. [...] Für weitere optische Action sorgt Andreas Erb mit gut geführter Live-Kamera, deren Schwarz-Weiß-Bilder suggestiv projiziert werden.
[Juan Martin Koch - Neue Musikzeitung, 26. Januar 2020]

Das spannende Libretto, Jüri Reinvere hat es vor seiner Komposition selbst geschrieben, weitet Minona zur Projektionsfläche einer Frau, die ihre Identität sucht, „ihr ganzes Leben im Nebenzimmer verbracht“ hat, wobei gleichzeitig die gesellschaftlichen Knebelungen durch Stand, Religion und Geld gespiegelt werden. So gewinnt die Geschichte trotz ihrer historischen Verortung eine ergreifende Aktualität, zumal Regisseur Hendrik Müller die psychischen Qualen dieser Frau, von Theodora Varga sehr expressiv gesungen und nach am Wahn gespielt, drastisch in Szene zu setzen weiß. Oper wird zum Psychokrimi, intensiviert durch Jüri Reinveres sonore klangsphärische Musik.
[Michaela Schabel - Augsburger Allgemeine Zeitung, 27. Januar 2020]

"Historisch erzählende Biographie-Opern finde ich sehr problematisch, da das Musiktheater schon in seinen formalen Anlagen kein geeignetes Medium zum Referieren von Fakten ist. Eine solche Biographie-Oper hat Jüri Reinvere aber auch nicht geschaffen. Wir sehen im Zentrum der Oper „Minona“ eine Frau, die ihre eigene Geschichte nicht kennt. Sie kann sich nicht sicher sein, wer ihr Vater ist und noch weniger, ob sie als Kind, als Mensch überhaupt jemals gewünscht war. Mit den bohrenden Fragen „Warum bin ich auf dieser Welt? Wer hat mich gewollt?“ unauslöschlich im Herzen, bewegt sie sich stets im toten Winkel ihres eigenen Daseins, lebt sie ein uneigentliches Leben.
Jüri Reinvere transportiert so sehr geschickt die Ungewissheit, das Unbewiesene (vielleicht Unbeweisbare) seines Komponier- und Forschungsgegenstandes Minona von Stackelberg direkt ins Zentrum seiner Hauptfigur selbst. So ist es in der Folge auch völlig unerheblich, ob Minona nun Beethovens Tochter ist oder nicht. Oder ob Josephine Brunsvick die von ganzen Musikologen-Generationen gejagte „Unsterbliche Geliebte“ war oder nicht. Das Ungewisse, das immer Fragende ist das Zentrum der Figur Minona. Ludwig van Beethoven, der in der Oper als Figur niemals auftritt, spielt somit auch keine Rolle als historische Persönlichkeit, sondern als Projektionsfläche, als Sehnsuchtsort. Genährt nur von der Faszination für seine Kunst und dem Funken einer Ahnung, dass es eine Verbindung zu ihm geben könnte, erschafft sich Minona einen fantasierten Ideal-Beethoven als Übervater. Diesen Gedanken finde ich im (auch kommerziell augenscheinlich bestens aufgestellten) Beethoven-Jubeljahr äußerst produktiv, da kaum ein Künstler so sehr als identitätsstiftende Projektionsfigur für ganze Nationen herhalten muss (und schon immer musste) wie Ludwig van Beethoven. Da wird nun auch ein ganz großer Über-Beethoven kreiert, äußerst affirmativ und unter Ausschluss sämtlicher Fragezeichen. Gewissheiten sind immer brandgefährlich, in der Kunst ebenso wie in der Politik und in der Gesellschaft – und überhaupt im ganzen Leben.
Die Opernfigur Minona hat keine Gewissheiten. Ich stelle in meiner Inszenierung aber ihr Suchen und Sehnen danach ins Zentrum – und lasse sie daran zu Grunde gehen. Die Widersprüche bleiben unauflöslich, einfache Antworten kann es nicht geben. Die Widersprüchlichkeit, das Ungewisse aushalten – das ist unser Auftrag als Menschen wie als Gesellschaft. Und wie schwer das ist, hat Beethoven komponiert." (hm)

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